Unglaublich aber wahr: Vor drei Wochen begann in Marseille und Umgebung die Müllabfuhr zu streiken. Grund dafür war die Tatsache, dass die Angestellten, die bisher nur dreieinhalb Stunden pro Tag sechs Tage pro Woche arbeiteten, von nun an ein wenig mehr arbeiten sollten, was sie ablehnten. Der Streik dauerte ganze zehn Tage und artete aufgrund der schlechten Wetterbedingungen in einen Umweltskandal aus, der die Küsten gefährdete. Überall in Marseille und Umgebung häufte sich der Müll. Gehsteige und Straßen waren beinahe verstopft, es stank, zahlreiche überglückliche Ratten tummelten sich in der Stadt.
Ganz Frankreich spottete über Marseille, aber denjenigen, die sich vor Ort befanden, war das Lachen vergangen. Meine Arbeitskollegen erklärten mir, dass ich mich daran gewöhnen müsse, die Müllabfuhr streike in Marseille regelmäßig. Trotzdem regten sie sich maßlos auf und erklärten mir, dass es sich um mafiöse Umstände handle. Tatsächlich ist die Sache ziemlich kompliziert. In Frankreich gibt es mehrere Gewerkschaften, die sich gegenseitig überbieten. Sie animieren die Angestellten zum Streik und bezahlen ihnen dafür ihre Löhne, die diese durch die Streikaktivität verlieren. Jede Gewerkschaft will diejenige sein, die sich am besten um die „Acquis sociaux“, die sozialen Errungenschaften der Angestellten, kümmert, das Ziel ist, so viele neue Mitglieder wie möglich anzuwerben. Streiken liegt in der Mentalität der Franzosen, vor allem im Süden, und wird durch die Macht und die Bestrebungen der verschiedenen Gewerkschaften begünstigt.

regelmäßige Streiks der Müllabfuhr
Die Müllabfuhr wird in Marseille nicht von der Stadt, sondern von der Metropole gemanagt, einer weitläufigen Vereinigung von Gemeinden, die fest in der Hand der rechtskonservativen und mehr oder weniger korrupten Partei ist (siehe Nicolas Sarkozy). Auch der ehemalige Bürgermeister von Marseille, über den sich die Journalistin Laura in meinem Krimi aufregt, entstammt dieser Partei. Nun wird dieser Metropole vorgeworfen, nichts getan zu haben, um die Situation zu regeln. Normalerweise werden in solchen Fällen private Unternehmen mit der Beseitigung des Mülls betraut. Der Bürgermeister von Marseille, der der Partei „Vereinigung der Linken“ angehört, beteuert, dass ihm die Hände gebunden sind, weil die Müllbeseitigung keine Kompetenz der Stadt, sondern Aufgabe der Metropole ist. Dabei muss gesagt werden, dass nicht nur Marseille von dem Problem betroffen war, sondern auch Aix-en-Provence und andere Städte und Dörfer. Aber nur in der Millionenstadt Marseille artete das Problem auf dramatische Weise aus.
Es gab Anfang letzter Woche, ungefähr am zwölften Streiktag, schwere Regenfälle und Überschwemmungen in Marseille. Zum Glück ist dabei niemand umgekommen und auch der Sachschaden war begrenzt. Aber ein Teil der angehäuften Abfälle wurde ins Meer geschwemmt und es kam zu einem Umweltskandal. Die Stadtstrände waren voller Müll und sogar der Nationalpark der Calanques wurde als bedroht angesehen. Freiwillige begannen, die Strände und Küsten zu säubern. Und die Metropole gab nach: Die Angestellten der Müllabfuhr arbeiten bei gleichem Gehalt weiterhin nur dreieinhalb Stunden pro Tag.
Nun ist der Müllskandal vorüber und die Stadt wieder mehr oder weniger sauber. Die Einwohner sind jedoch empört. Die Politiker der Metropole haben nichts getan, um das Problem rechtzeitig in Angriff zu nehmen. Die Müllabfuhr hat weiterhin gestreikt, obwohl ein Umweltskandal drohte und Freiwillige mussten die Strände säubern! Wobei noch nicht alles komplett gereinigt werden konnte, ein Teil der Abfälle treibt weiterhin im Meer.
Wieder einmal sieht ganz Frankreich verächtlich auf Marseille herab, und das zu Recht. Es scheint typisch für diese Großstadt zu sein, dass die Stadtverwaltung und die Metropole sich nicht einigen können, dass die Angestellten der Müllabfuhr die Einwohner als Geiseln nehmen, um ihre Errungenschaften zu verteidigen, dass die Gewerkschaften diese Situation missbrauchen und dass viele Dinge in der Verwaltung und der Politik unklar sind. Aber auch die Tatsache, dass in Sachen Umwelt nicht schnell genug reagiert wird, charakterisiert Südfrankreich. Genau davon soll mein nächster Krimi handeln: Von einem Umweltskandal, der von menschlicher Profitgier ins Leben gerufen und von den Politikern nicht ernstgenommen wurde.